“Soziale Medien” oder asoziale Medien: Demokratisierung oder Fragmentierung der öffentlichen Meinung (Teil 5)? – Von Wolfgang Lieb

Wolfgang Lieb, , davor Regierungssprecher und Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen, sorgt sich um die Kommunikation im Internet. In diesem Mehrteiler stellt er die dies betreffenden Grundlagen und Zusammenhänge umfassend dar. Dies ist Teil 5. Teil 1 ist hier, Teil 2 ist hier, Teil 3 ist hier erschienen, Teil 4 ist hier erschienen.

Social-Media-Tools” als Mittel zur Meinungsmanipulation

Die Tatsache, dass das Internet und Internetdienste Datenlieferanten über die Nutzer sind – die an Hand des Such- und Nutzungsverhaltens besser über einen Bescheid wissen, als man selbst über sich Bescheid weiß, jedenfalls als man es sich bewusst macht -, kann eben nicht nur von Waren- oder Dienstleistungsanbietern genutzt werden, sondern kann auch von Meinungsmachern ganz allgemein und speziell von gesellschaftlichen Interessengruppen und politischen Lagern bzw. Parteien, die bewusst eine politische Agenda voranbringen wollen, ausgebeutet werden.

Das Internet ist so zu einem Einfallstor für Manipulateure und für Meinungsbeeinflusser geworden. Werbetreibende und Propagandaagenturen senden inzwischen nicht nur einzelne Informationen aus, sondern nutzen so genannte “Social-Media-Tools”, um ihre Produkte oder ihre Botschaften im Netz zu verbreiten.

Eine noch ziemlich harmlose Variante einer solchen Stimmungsmache, ist der relativ preiswerte Kauf von “Likes” auf Facebook (siehe auch hier). Auch Computerprogramme wie “FaceDominator” etwa bedienen Facebook-Profile selbsttätig. Sie markieren Seiten mit “Gefällt mir”, fügen Freunde hinzu oder veröffentlichen Beiträge. Das Programm kann anhand von E-Mail-Adressen oder Telefonnummern auch Nutzer auf Facebook finden und diese als Freunde hinzufügen.

Nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook müsste man zwar als Nutzer seinen Klarnamen verwenden. Ein Account mit einem Phantasienamen verstieße danach gegen die Facebook-Regeln, doch das wird nicht konsequent überprüft. Millionen Nutzer sind auf dem Netzwerk unter abgeänderten Namen oder Phantasie-Identitäten unterwegs (Justus Bender/Marvin Opping in der FAZ).

Neben so genannten “Trollen”, also psychisch eher problematische Netzteilnehmern, die sich in Diskussionsforen, Newsgroups, Chatrooms, Mailinglisten oder in Blogs einmischen und die Online-Community stören, provozieren, Hass schüren oder in eine bestimmte politische Richtung zu lenken versuchen, sind inzwischen im Internet auch professionelle Trollaktivitäten zu beobachten, die massive politische Propaganda betreiben.

So kann über automatisierte “Trolls”, also von Computern erzeugte künstliche Identitäten (Robots), in Netzwerken wie Twitter oder Facebook massenhafte Zustimmung oder Ablehnung von Meinungen vorgetäuscht werden . Bezahlte Trolle werden inzwischen durch “Social Bots” oder “Chatbots” ersetzt (siehe dazu auch ZDFzoom “Alles Lüge”).

Emilio Ferrara Alessandro Bessi fanden zu ihrem Erstaunen heraus, dass die Nutzer Tweets von “Social Bots” gleich oft geteilt haben, wie die Tweets “echter” Menschen (Psychologie heute 04/2017, S. 37).

Wer die Hashtag-Trends bestimmt, nimmt Einfluss auf den gesellschaftlichen Diskurs

“Bots können gesellschaftliche Debatten durch ihre schiere Masse bestimmen und in eine gewünschte Richtung lenken”, sagt Simon Hegelich, Professor für Political Data Science. Wer Bots verwendet, der will die Öffentlichkeit täuschen, schreiben Justus Bender/Marvin Opping in der FAZ.

Wenn zum Beispiel plötzlich Themen wie – wonach eine 13-jährige Russlanddeutsche von Flüchtlingen als Sexsklavin missbraucht worden sei – in den Vordergrund rücken, dann liegt das daran, dass sogar hochrangige Politiker wie der russische Außenminister Sergej Lawrow, aber auch Journalisten Social-Media-Trends folgen. Die Manipulateure wissen, dass sowohl Politiker als auch Journalisten sich auf die Trendanalysen der sozialen Medien stützen, um herauszufinden, welche Themen die Menschen im Moment bewegen oder wie die Stimmung im Land aussieht.

Das “Social Media Forensics” Team der Uni Siegen hat ein ganzes Netz an Bots und Trollen entlarvt, das während der Ukraine-Krise täglich massiv Bot-Meldungen verbreitete. Sie konnten an einem Tag etwa 15.000 falsche Twitterprofile bis zu 60.000 gefakte Posts verbreiten (siehe hier).

US-Geheimdienste sollen ein so genanntes “Persona-Projekt” in Auftrag gegeben haben, ein Konzept, nach dem ein ganzes Heer von Identitäten in Foren, Blogs und sozialen Netzwerken interagieren können und den Eindruck erwecken, als handle es sich um eine große Zahl von Nutzern, die eine bestimmte Meinung vertreten (siehe hier). Der britische Geheimdienst betreibt PR-Arbeit in Internetforen. Auch der selbsternannte “Islamische Staat” nutzt Bots (siehe ).

Es wird von israelischen, nordkoreanischen propagandistischen Foren-Trollen oder von russischen “Kreml Troll Armeen” berichtet. Aus amerikanischen Geheimdienstkreisen wird geraunt, dass Hacker und bezahlte russische “Trollfabriken” versucht hätten, den US-Wahlkampf zu beeinflussen.

Ob russische Hacker oder von Russland gesteuerte “Trolls” oder “Fake-News” tatsächlich Einfluss auf das Wahlergebnis zugunsten von Trump hatten, und ob Putin Trump tatsächlich geholfen hat, wie die FAZ vom 11.12. 2016 unter Bezugnahme auf Berichte amerikanischer Zeitungen mutmaßte (siehe Washington Post und New York Times), wird man erst beurteilen können, wenn genauere Angaben über das “Wie” solcher angeblichen Cyberkampagnen öffentlich werden. Derzeit liegt der Verdacht nahe, dass es sich bei den gegenseitigen Beschuldigungen eher um Ablenkungsmanöver oder Angstmache der jeweiligen Geheimdienste handelt.

Der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz haben im Auftrag der Kanzlerin ein Jahr lang nach eindeutigen Beweisen für politische Einmischung Russlands in Deutschland gesucht, aber – wie es hieß – “keine Smoking Gun gefunden” (Georg Mascolo, Nicolas Richter)

Zwar haben inzwischen alle Parteien – auch die AfD – erklärt, sie würden im Wahlkampf keine “Social Bots” einsetzen, doch damit ist keineswegs gesichert, dass Internetaktivisten nicht einzelnen Parteien zurechenbare Kampagnen inszenieren.

So sind etwa bei Facebook eine Reihe von Nutzerprofilen aufgefallen, wobei etliche Indizien darauf hinweisen, dass Unterstützer oder Mitglieder der AfD mit den Methoden eines automatisierten Wahlkampfes zu arbeiten begonnen haben (Justus Bender/Marvin Opping). Bislang fehlen die Tools, um sicher nachprüfen zu können, ob Bots verwendet werden. Auch darüber welche Effekte Bot-Attacken haben, tappt man noch im Dunkeln.

Das Reddit-Forum “the_schulz” etwa, in dem so genannte Schulz-Memes, also mit Texten versehene Bilder, die meist auf humorvolle Weise Botschaften im Netz verbreiten, wird von anonymen Moderatoren und nicht von der SPD selbst betrieben, ist aber de facto eine Form von Wahlwerbung.

Ganz allgemein meint Lorraine Daston, die Direktorin des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte: “Das Internet wird zur Spielwiese derer, die das meiste Geld haben. Sehen Sie sich Einträge umstrittener Personen auf Wikipedia an. Da schreibt jemand einen Text – und dann wird er umgeschrieben, abgeändert, von jenen Kräften, die ein starkes ideologisches Interesse sowie Zeit und Geld haben. Am Schluss gewinnt die Kraft mit dem meisten Geld oder der größten Sturheit. Das ist weder im Interesse der Öffentlichkeit noch der Wahrheit.”

Was tun?

Viele Fragen der Mediennutzung und des Einflusses der digitalen und der analogen Medien sind ungeklärt und bedürften dringend der weiteren wissenschaftlichen Analyse (siehe dazu LfM a.a.O. S. 58ff.). Man müsste genauer erforschen, wie die digitale Gesellschaft funktioniert. So haben etwa Jan-Hinrik Schmiddt vom Hans-Bredow-Institut und Birgit Stark vom Institut für Publizistik an der Universität Mainz dieser Tage auf einer Veranstaltung der Medienanstalten die Vorstellung eines Filterblasen-Effektes auf Facebook relativiert: Von 355 über 14 Tage lang befragten Personen hätten 69 Prozent Offline-Medien als besonders maßgebend für ihre Meinungsbildung bezeichnet, 59 Prozent das Internet allgemein mit verschiedenen Nachrichtenmagazinen und weiteren Ablegern traditioneller Medien, 52 Prozent persönliche Gespräche. Google und Facebook folgten mit deutlichem Abstand mit 34 beziehungsweise 18 Prozent. Als wichtige Informationsquelle hätten Facebook 13,5 Prozent zu Flüchtlingen, 5,7 Prozent zur AfD eingestuft. Parallel erschien 13,6 beziehungsweise 7,1 Prozent der Befragten das soziale Netzwerk aber als unwesentlich bei beiden Themen. (Stefan Krempl)

Der Politikberater Julius von de Laar, der die Wahlkämpfe Obamas begleitete, wiederum berichtete vom mobilisierenden Effekt von Filterblasen. Mit Lösungsansätzen befindet man sich vielfach noch im Merkelschen “Neuland”.

Auch für das Internet gilt das “Erste Gesetz der Technologie” (Melvin Kranzberg): es ist politisch oder juristisch zunächst einmal neutral. Das Internet allein ist “nur” ein weltweites Netzwerk aus Computern. Das Internet als Medium ist nicht besser oder schlechter als das Buch, die Zeitung, der Rundfunk oder das Flugblatt. Auch Propaganda ist nichts Neues, sie hat durch das Internet allenfalls ein neues Medium und eine neue Intensität gewonnen. Aber wie jede Technik wird sie innerhalb eines bestimmten gesellschaftlichen Zusammenhangs entwickelt und eingesetzt.

Die aufgezeigten Probleme müssen zum großen Teil letztlich in den Köpfen der Nutzer gelöst werden. Jedes neue Medium hat eine Phase des Experiments und der Anarchie durchlaufen.

Das, was eine demokratische Kultur ausmacht, nämlich eine an Tatsachen orientierte öffentliche Diskussion, der offene und täuschungsfreie Austausch rationaler Argumente, das abgewogene Urteil, die Verbreitung einer möglichst großen Vielfalt von Meinungen und deren öffentlicher Austausch (also der verständigungsorientierte Diskurs) zur Förderung von vernunftgeleitetem Denken und (politischem) Handeln in der Gesellschaft, all das ist mit den 140 Zeichen eines Tweets unmöglich oder findet über einen Web-Chat höchst selten statt.

Dem Ideal einer vielfältigen (basisdemokratischen) Internetkommunikation und der Partizipation durch “Social Media” steht die Fragmentierung der Öffentlichkeit in “homogenisierten Echokammern” als Teilöffentlichkeiten gegenüber.

Selbst Facebook-Chef Mark Zuckerberg macht sich inzwischen Gedanken darüber, wie es gelingen kann, unterschiedliche Sichtweisen so aufzubereiten, dass die Menschen miteinander wieder in Dialog kommen und andere Meinungen akzeptieren, statt sich in ihrer eigenen Gedankenwelt abzukapseln (Daniel Baumann in der FR).

Die Kernfrage ist, wie kann man „Fairness und Verantwortlichkeit ins das Zeitalter der Daten bringen” (Cathy O`Neil, a.a.O.).

Gegen die Fragmentierung schützt zunächst einmal größtmögliche Transparenz und Pluralität der öffentlichen Meinung. (Sascha Lobo und hier).

Zur Transparenz gehörte, dass Plattformbetreiber ihre eigene Position offen darstellen, so dass die Nutzer eine bewusste Entscheidung treffen können, ob sie dieser Position folgen wollen oder ob sie bewusst auch andere Blickwinkel einnehmen wollen.

Die Rezeption unterschiedlicher und vielfältiger Meinungen lässt sich nicht verordnen, andere Ansichten zu ertragen und den Diskurs zu pflegen ist eine Frage einer gesellschaftlichen Kultur der Offenheit und des “Muts zur Aufklärung”. Jeder und jede einzelne kann zunächst einmal nur selbst sein Mediennutzungsverhalten prüfen, die Strukturen und Mechanismen, die hinter den von einem selbst genutzten Medien herrschen reflektieren und die Informationsquellen kritisch bewerten.

Es bedarf einer Entzauberung des Internets und einer Verbesserung der allgemeinen Kenntnisse über die Funktionsweise der Internetkommunikation, wie “Trending Topics”, “Memes”, “Newsfeed” etc. entstehen und wie manipuliert werden kann. Die Ideale des Journalismus sollten Bestandteil von Allgemeinbildung werden.

Dazu gehört, den Lernstoff “Internetverhalten” in die Lehrpläne aufzunehmen. Dazu müssten Medienpädagoginn/en ihre eigene Disziplin, sowie Haltungen und Arbeitsweisen überprüfen und verändern, meint Kristin Narr von der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK).

Unter dem Motto “Dagegenhalten” hat Bundesfamilienministerin Schwesig ein Bundesprogramm “Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit” aufgelegt. Für dieses Projekt zur Stärkung der Medienkompetenz sind für das laufende Jahr 104 Millionen Euro vorgesehen.

Politiker und Journalisten in den etablierten Medien stehen in der Pflicht sich den Themen in den “Echokammern” anzunehmen, sie in den öffentlichen Diskurs einzuführen und zu diskutieren. Dass “im Netz” diskutierte Themen zu selten aufgegriffen werden und überwiegend das heimliche Gesetz der “diskussionslosen Geschlossenheit” (Thomas Leif, Die Zeit vom 31. Dezember 2016) gilt, dadurch entstehen innerhalb der Netz-Communities Abwehr- und Abgrenzungshaltungen gegenüber den etablierten Medien und der Politik.

“Lösen lässt sich das Problem der Fake News nur, indem man die Grundlagen des digitalen Kapitalismus überdenkt. Online-Werbung und ihr zerstörerischer Anreiz zum Anklicken und Teilen darf nicht mehr wie heute eine so zentrale Rolle in der digitalen Kommunikation spielen“, meint Evgeny Morozov, der als einer der Vor- und Nachdenker der digitalen Welt gilt (Süddeutsche Zeitung vom 19.01.2017; siehe dazu grundlegend Evgeny Morozov, Smarte neue Welt, München 2013).

In Teil 5: Gebührenfinanzierte, öffentlich-rechtliche Plattformen?


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