Wolfgang Lieb, , davor Regierungssprecher und Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen, sorgt sich um die Kommunikation im Internet. In diesem Mehrteiler stellt er die dies betreffenden Grundlagen und Zusammenhänge umfassend dar. Dies ist Teil 6. Teil 1 ist hier, Teil 2 ist hier, Teil 3 ist hier erschienen, Teil 4 ist hier erschienen, Teil 5 ist hier erschienen.
Gebührenfinanzierte, öffentlich-rechtliche Plattformen?
Um die “Filterblasen”, die vor allem auch durch die intransparenten Such-Algorithmen entstehen, platzen zu lassen, und die Kommunikationsräume zu verbinden, könnte man daran denken, die digitalen Parallelgesellschaften in der Hand privater amerikanischer Oligopolisten, die vor allem durch Werbung und den Verkauf von Daten ihren Profit mehren, durch ein europäisches oder wenigstens deutsches gebührenfinanziertes öffentlich-rechtliches Facebook, Whats-App oder eine vergleichbare öffentlich-rechtliche Plattform zu betreiben.
Statt eines Rundfunkbeitrages würde dann eine Mediengebühr erhoben. Der große Vorteil wäre, dass die Algorithmen transparent und die Inhalte nicht werbegesteuert wären, im Netz zum Dialog angeregt werden könnte und die Teilnehmer Datensicherheit und Datenschutz genießen würden (siehe dazu auch Auftrag und Strukturoptimierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten in Zeiten der Digitalisierung der Medien, ARD).
Man könnte auch über einen von ZDF, ARD etc. betriebenen Youtube-Kanal nachdenken, in dem die gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sämtliche Programmarchive bereitstellten. Außerdem könnten man die selektive Wahrnehmung durch systematische Angebote von alternativen bzw. kontroversen Positionen aufbrechen.
Das Problem dabei ist, dass die privaten Oligopole mit den größten IT-Ressourcen gewinnen dürften – weil sie mehr Rechenleistung haben, weil ihr die Netzwerkeffekte zugute kommen und weil sie die meisten Ingenieure beschäftigen können (zur Machtkonzentration im Netz, Jaron Lanier.
Der Chef der sachsen-anhaltinischen Staatskanzlei, Rainer Robra, hat vorgeschlagen, dass sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durch eine Änderung des Telemedienauftrags auch auf Twitter betätigen können sollten und zwar mit Fakten und redaktionell verantwortet.
Ein “öffentlich-rechtliches Internet” stellte jedoch nach gegenwärtiger europäischer Rechtslage wohl eine wettbewerbsverzerrende Beihilfe gegenüber Facebook et. al. dar. Mit diesem Einwand bleibt allerdings völlig außer Acht, dass bisher private Oligopolisten einen immer größer werdenden Teil dessen kontrollieren, was man Öffentlichkeit nennt (vgl. dazu Thomas Wagner, Das Netz in unsere Hand, S. 151 ff. dazu auch “Daten in Bürgerhand“. Man könnte allerdings die Beihilfeproblematik zumindest auf europäischer Ebene umgehen, indem man eine Mediengebühr auf europäischer Ebene einführte (Christian Fuchs, Falter 27a/16 S. 29ff. [33]).
Regulierungsinitiativen
Bei allem, was es Positives und Fortschrittliches im Netz gibt, kann die Gesetzlosigkeit des Internets skrupellos missbraucht werden.
Es gibt Cyberangriffe durch Hacker oder Geheimdienste, es gibt Propagandakampagnen durch Trolls oder Robots, im Netz werden Hetze, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Hass und Lügen oder gezielte Falschmeldungen verbreitet, die eine große Gefahr für das friedliche Zusammenleben und für eine freie, vielfältige und demokratische Gesellschaft darstellen.
Es hat noch nie in der Geschichte ein Medium gegeben, das nicht reguliert wurde, und für alle historisch bekannte Medien gab es Kontrollinstanzen. Warum sollte das bei einem so mächtigen, omnipräsenten, fortwirkenden und zunehmend unverzichtbaren Medium wie dem Internet nicht gelten? (Lorraine Daston, Direktorin des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte)
Eine Regulierung müsste jedoch das Spannungsverhältnis zwischen größtmöglicher individueller Meinungsfreiheit und staatlicher oder privater Zensur auflösen und darüber hinaus müsste sie ein hohes Maß an Datenschutz gewährleisten.
1. Die Abwehr von Cyberangriffen erfolgt bisher durch ein “Nationales Cyber-Abwehrzentrum” (NCAZ), angesiedelt beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), in dem sämtliche einschlägigen Sicherheitsbehörden zusammenwirken sollen. Der Bundesinnenminister plant derzeit eine Neuordnung der Sicherheitsarchitektur, danach soll die Cyber-Abwehr künftig zu den Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes gehören. Dagegen gibt es allerdings verfassungsrechtliche Bedenken, da nicht jede Form organisierter Kriminalität eine Kommunikationsüberwachung rechtfertige. Reporter ohne Grenzen haben erst kürzlich Verfassungsklage gegen die BND-Überwachung eingereicht.
Das “Strategische Kommunikationsteam Ost” des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) will die Beeinflussung von Wahlen durch russische Cyber-Attacken abwehren.
Die Regierungschefs der EU haben auf ihrem Gipfel im März 2015 “East StratCom Taskforce” beschlossen, um – wie es hieß – “Russlands laufenden Desinformationskampagnen entgegenzuwirken”.
Auch die NATO hat im belgischen Mons ein “Cyber Security Operations Center” um Hacker abzuwehren, die – wie Generalsekretär Stoltenberg befürchtet – sich in nationale Wahlkämpfe einschalten und “die Demokratie unterminieren” könnten.
Die europäischen Verbraucherschutzbehörden drängen soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und Google Plus, ihre Nutzer besser vor Betrügern zu schützen und ihre Geschäftsbedingungen an EU-Regeln anzupassen. Dafür setzte EU-Kommissarin Věra Jourová eine Frist bis Mitte April. Sollten die Antworten der Unternehmen nicht zufriedenstellen, könnten die europäischen Verbrauchschutzbehörden Zwangsmaßnahmen einleiten, drohte sie.https://www.heise.de/newsticker/meldung/EU-Kommission-verlangt-Verbraucherschutz-von-Facebook-und-Co-3657884.html
2. Hate Speech und Fake News
Nach einer Online-Meinungsumfrage des Europarats haben 83 Prozent der Befragten Erfahrungen mit Hate Speech gemacht (siehe hier). Hinsichtlich der derzeit viel diskutierten Hassreden und Falschbehauptungen ist eine Differenzierung zwischen rechtsverletzenden und rechtmäßigen Inhalten zwingend erforderlich. Es geht also nicht um Verbote, Zensur oder Netzsperren, sondern um die Durchsetzung des geltenden Rechts und um die Verfolgung von Rechtsverletzungen (siehe dazu allgemein ein Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion).
Was offline verboten ist, sollte dies nicht auch online verboten sein?
Zivilrechtliche Unterlassungsansprüche bestehen gegen unwahre Tatsachenbehauptungen sofern sie sich gegen eine konkrete Person richten. Beleidigungen, Üble Nachrede, Verleumdungen, Volksverhetzung sind strafbewehrt.
Verschwörungstheorien ganz allgemein sind schwer aus der Welt zu schaffen, sofern diese allerdings Unternehmen oder konkrete Personen betreffen, können diese sich dagegen wehren, wenn sie das Gegenteil beweisen können. Auch gegen Falschbehauptungen mit wirtschaftlichem Hintergrund bestehen Unterlassungsansprüche.
Falschbehauptungen zur politischen Stimmungsmache und Propaganda sind derzeit gesetzlich nicht erfasst. Juristische Regelungen dürften auch kaum möglich sein, da sie eine Art Wahrheitskommission voraussetzten. Schon gar nicht, darf nach dem Zensurverbot des Grundgesetzes der Staat Nachrichten vorab überprüfen und sperren können. Es gibt im Übrigen genügend Beispiele dafür, dass auch die offizielle Politik sind nicht immer an die Wahrheit hält. So wurde jüngst sogar der Bundesinnenminister zweier unbelegten Behauptungen über Geflüchtete überführt. Was wahr ist, gehört ohnehin zu einer der ältesten Fragen der Philosophie (siehe zum Thema Wahrheit Bundeszentrale für politische Bildung). Was derzeit als “alternative Fakten” diskutiert wird, sind in der Regel schlichtweg glatte Lügen (Norbert Bolz).
Ein Großteil dessen was derzeit unter den Themen Hassreden und Falschbehauptungen diskutiert wird, könnte durch eine schärfere Anwendung der bestehenden Gesetze und besser geschulten Strafverfolgungsbehörden bekämpft werden (siehe dazu hier).
Die Probleme bestanden bisher darin, dass die “Sozialen Medien” unzureichend in die Pflicht genommen werden können und dass private Unternehmen wie Facebook, Twitter, Google oder YouTube zu „Richtern über die Meinungsfreiheit“ geworden sind.
3. Ertrinkt die Demokratie in Fake News und Hate Speech
Der Begriff Fake News ist unscharf. Fallen denn auch Propaganda, Lügen, Clickbaiting, Hoaxes, Spam, Irrtümer, Satire, Tatsachenverdrehungen, fehlender Kontext, Gerüchte, unklare Formulierungen, Halbwahrheiten, falsche Zusammenhänge, Recherchefehler unter diesen Begriff (siehe Dennis Horn, WDR Digitalistan)?
Falsche Tatsachenbehauptungen oder ganz allgemein Lügen, ja sogar Hass sind, sofern sie sich nicht gegen eine konkrete Person oder ein Unternehmen richten, nicht strafbar oder zivilrechtlich zu untersagen.
Es gibt eine regelrechte Schwemme an Vorschlägen zur Bekämpfung von Fake News und Hate Speech:
Internet-Meme verbieten (eine Idee der spanischen Regierungspartei); Expertenkommissionen bilden, die über den Wahrheitsgehalt von Nachrichten urteilen (ein Vorschlag von Italiens oberstem Kartellwächter); Zentren zur Bekämpfung von Fake News einrichten (Evgeny Morozov in der Süddeutschen Zeitung vom 19.01.2017). Mit Ausrufung des Ausnahmezustandes hat die französische Regierung den Zugriff auf 834 Webseiten unterbunden und 1.929 Suchergebnisse aus Suchmaschinen nehmen lassen, auch Beiträge auf Facebook und Twitter wurden gelöscht (siehe hier).
Hier nur einige Beispiele für Initiativen gegen Hasskommentare und Falschbehauptungen aus der Zivilgesellschaft:
- Es gibt eine No-Hate-Kampagne wie etwa www.hoaxmap.org. Diese Inititative geht unter dem Titel “Neues aus der Gerüchteküche” den Gerüchten über Asylsuchende nach, von gewilderten Schwänen über geschundene Gräber usw.
- Auf der Facebook-Hompage der Stiftung Warentest wird Debunking, unter dem Motto “Gesicht zeigen, Kante zeigen, Authentizität” wird aktives Entlarven von Falschmeldungen betrieben und angeleitet. Als die Stiftung über die Bußgelder und über die Internetwachen der Länder informierte, erntete sie einen regelrechten “Shitstorm”).
- Auf der Ebene des Europarats hat sich eine “No Hate Parliamentary Alliance” gegründet, deren Mitglieder sich verpflichten, “offen, uneingeschränkt und proaktiv Stellung gegen Rassismus, Hass und Intoleranz“ einzutreten. Es werden entsprechende Veranstaltungen organisiert.
- Die geht Verschwörungstheorien nach.
- News Feed FYI will Fake News und Hoaxes auf News-Feeds nachgehen.
- Anfangs des Jahres hat sich eine “Reporterfabrik” Correctiv gegründet, die journalistisch gegen Desinformation angehen will.
- Eine rasant wachsende Facebook-Gruppe “#ichbinhier” (derzeit 27.000 Mitglieder) hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen bei Facebook zu helfen, die von Schmähungen und Beleidigungen überrollt werden. So will die Gruppe, die sich Ende Dezember 2016 gründete, das Diskussionsklima auf Facebook verbessern und Hasskommentaren mit Fakten begegnen.
- Es gibt eine Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM e.V.), die sich mit Jugendmedienschutz in Onlinemedien befasst. Innerhalb des durch den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) 2003 eingeführten Systems der regulierten Selbstregulierung ist die FSM anerkannte Selbstkontrolleinrichtung für den Bereich Telemedien.
- das ZDF will demnächst das Projekt #ZDFcheck17 starten und die ARD baut in Hamburg eine zentrale Verifikationsgruppe auf, die zweifelhafte nachrichtenrelevante Meldungen aufspüren soll (Sebastian Jannasch in der Süddeutschen Zeitung vom 27.02. S. 23), Ähnliches plant der Bayerische Rundfunk.
- Union und SPD haben den Vorschlag gemacht, einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch auf Klarnamen (Aufhebung der Anonymität) bei Persönlichkeitsverletzungen einzuführen. Was ist dann aber mit Whistleblowern?
- Die Washington Post überprüft und kommentiert laufend Twitter-Tweets.
- Es wird ein Gütesiegel für geprüfte Information angeregt.
- Mit dem vom Institut für Europäische Politik (IEP) in Kooperation mit dem Progressiven Zentrum (DPZ) konzipierten Projekt “TruLies Europe – The Truth about Lies on Europe” soll in aufklärendem Sinne zur Versachlichung der europapolitischen Debatte in Deutschland beigetragen werden.
- Das EU-Parlament ist mit einer “Digitalen Charta” befasst.
- AlgorithmWatch ist eine nicht-kommerzielle Initiative mit dem Ziel, Prozesse algorithmischer Entscheidungsfindung zu betrachten und einzuordnen, die eine gesellschaftliche Relevanz haben – die also entweder menschliche Entscheidungen vorhersagen oder vorbestimmen, oder Entscheidungen automatisiert treffen.
Das sind nur einige der zahlrichen Initiativen.
In Teil 7: Was tun die Internet-Dienste selbst?
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