Seit zwölf Jahren ist Angela Merkel an der Macht. Davor herrschte Gerhard Schröder. Insgesamt neunzehn Jahre Alternativlosigkeit. Ganze Generationen sind unter ihnen herangewachsen, haben nie etwas anderes kennengelernt, hatten nie eine wirkliche Wahl. Die große Leerstelle von Anfang an: die SPD. Vor 19 Jahren zumindest noch in Teilen mit einem Gestaltungsanspruch angetreten, hat sie sich selbst zum verlängerten Arm vermeintlicher Wirtschaftsinteressen gemacht. Vermeintlich deswegen, weil sie mit der Agenda 2010 tatsächlich ja gar nicht der Wirtschaft einen Gefallen getan hat.
Gewiss, viele haben sehr gut verdient an ihr. Aber die Wirtschaft als ganzes, die Gesellschaft als ganzes doch nicht. Dafür steht der jetzt ins Zentrum gerückte Streit um den deutschen Außenhandelsüberschuss, dessen Grundlage viel zu niedrige Löhne und Staatsausgaben sind. Dafür steht ein international nicht minder häufig kritisiertes undurchlässiges deutsches Bildungssystem, das viel zu vielen Menschen eine vielversprechende Lebensperspektive nimmt. Dafür stehen ganze Landstriche, Städte und Kommunen, denen mangels Perspektive die Menschen weglaufen, weil die Mittel fehlen, in die Gegenwart und in die Zukunft zu investieren. Dafür steht eine nur noch in Teilen die Bedürfnisse der Menschen befriedigende öffentliche Verwaltung.
Fast scheint es so, als gäbe es so etwas wie Gesellschaft gar nicht mehr. Die Politik scheint sich für nichts mehr zuständig zu fühlen, außer für staatliche Haushaltsüberschüsse zu sorgen und exportorientierten Unternehmen nach dem Mund zu regieren. Eine Alternative, in der der Staat einmal wieder wirklich Geld in die Hand nimmt, um all diejenigen Schäden zu reparieren, die er mit dieser Politik in rund zwanzig Jahren hinterlassen hat, ist nicht in Sicht. Und so drohen weitere vier Jahre Stillstand. Weitere vier Jahre weiter so.
Längst ist es nicht mehr entscheidend, welche Partei regiert, ob CDU/CSU, SPD, FDP oder auch Bündnis 90/Die Grünen. Sie alle haben in dieser Zeit Regierungsverantwortung getragen und die entscheidenden politischen Weichenstellungen zu verantworten. Die allermeisten stehen auch ganz unverblümt dazu und verteidigen den politischen Stillstand, die politische Alternativlosigkeit. Auch Martin Schulz. Kaum vorstellbar, dass er noch die Kurve kriegt und eine alternative Politik formuliert, mit der er es schafft, all die Verlierer, die er und seine Partei zurückgelassen haben, wieder hinter dem Ofen hervor und an die Wahlurnen zu holen und gleichzeitig die breite Bevölkerung in Aufbruchstimmung zu versetzen.
Und die vierte Gewalt, die Medien, ob privat oder öffentlich-rechtlich, stellen all dies nicht nur nicht in Frage, sie stimmen in ihrer überwältigenden Mehrheit ein in den Chor der Alternativlosigkeit. Alles, was sich dagegen am Rand der Gesellschaft formiert, ob politische Bewegung, Partei oder Blogs ist gegen diese Phalanx der Alternativlosigkeit von vornherein auf verlorenem Posten – zum Glück muss man in vielen Fällen sagen, sind viele von ihnen doch ihrerseits radikal kompromisslos und führen ihre Anhängerschaft mit unzulässigen Vereinfachungen an der Nase herum.
Da wundert es nicht, dass sich so viele Menschen nicht länger für Politik interessieren oder gar engagieren. Dann lieber den unmittelbar eigenen Interessen nachgehen. Das bisschen Freiheit im Kleinen leben, scheint unter den gegebenen Umständen tatsächlich die einzig verbliebene Alternative.
Dieser Text ist mir etwas wert
|
|