Wahlkampf und Wahlausgang in Berlin – ein Fieberthermometer für die SPD (19.09.2011)

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SPD erhält Quittung für inhaltsleeren Wahlkampf

Die SPD ist spätestens seit der Bundestagswahl 2009 darin geübt, Wahlniederlagen zu bejubeln. Der größte Wahlverlierer durfte sich dazu noch wie selbstverständlich zum Fraktionsvorsitzenden aufschwingen, und für die Kanzlerkandidatur dürfen sich gleich drei Verantwortliche für vergangene, auf Landes- und Bundesebene errungene Wahlniederlagen warmlaufen: Frank Steinmeier, Sigmar Gabriel und Peer Steinbrück.

Angesichts dieser politischen Pathologie ist es nicht verwunderlich, dass auch für Wowereits Wahlniederlage kräftig von den Genossinnen und Genossen applaudiert wurde und dieser realitätsvergessen ein freudiges Tänzchen aufs Parkett legte.Da scheint es nicht zu stören, dass nach der FDP die SPD in Berlin die größten Stimmenverluste verzeichnet; in Verlusten an absoluten Wählerstimmen gerechnet, ist die SPD sogar der größte Verlierer dieser Wahl. So betrachtet, hat sich jetzt auch Wowereit als Kanzlerkandidat qualifiziert. Aber auch was Selbstgefälligkeit und Inhaltsleere anbelangt, kann Wowereit locker mit Steinmeier, Gabriel und Steinbrück mithalten. “Berlin verstehen”, der Wahlslogan der SPD, war eine Leerformel. Die Berliner lassen sich aber, so scheint es, durch Sprüche von Werbeagenturen trotz geballtester Medienpräsenz nicht so einfach gewinnen. Offensichtlich haben Wowereit und die SPD – ebenso wie DIE LINKE – Berlin nicht verstanden. Viele Menschen waren nicht mit ihnen zufrieden; Wowereits eigener Wahlkreis hat ihn gar abgewählt.

Das Gegenstück zum satten und sich selbst genügenden Wowereit wurde zum großen Wahlsieger: Die Piraten. Man muss nicht mit ihren Inhalten übereinstimmen; aber eines war auffallend: Die Piraten haben mit Inhalten geworben, flott verpackt, eigenständig – und damit überzeugt. Und wie viele zur Sozialdemokratie oder zur LINKEN neigende Wählerinnen und Wähler werden wohl dennoch die Piraten gewählt haben, einfach, weil sie gegen die Arroganz der Macht, die Wowereit und seine Partei ausstrahlen, stimmen wollten? Ich bin mir sicher, viele. Auch junge, nicht unbedingt politikverdrossene, aber parteiverdrossene Menschen, werden den Piraten ihre Stimme gegeben haben.

Die “Strategen” für Wowereit haben sich mächtig geirrt, indem sie glaubten, damit gewinnen zu können, dass sie ihren Kandidaten pünktlich zum Wahlkampf einmal wieder raus aus dem plüschigen Amtssitz auf die Straße schicken,Smalltalk halten und Händeschütteln lassen. Viele Berliner, so scheint´s, lassen sich auf diese Art und Weise nicht für dumm verkaufen. “Und das ist auch gut so”, darf man hier durchaus einmal den dennoch wiedergewählten Bürgermeister und Landesvater zitieren. Viele Wähler ”verstehen” Berlin, die Situation an den Schulen, die S-Bahn und die soziale Verhältnisse in der Stadt, wie etwa der Anstieg der Wohnungsmieten, anscheinend anders als ihr Bürgermeister.

Auch die Basis krankt

Die Enttäuschung in der SPD dürfte sich aber nicht auf die Parteispitze beschränken: Auch die vermeintlich der Basis näherstehenden Funktionäre, wie die um ein Direktmandat im Abgeordnetenhaus, das Amt des Bezirksbürgermeisters oder um den Einzug in die Bezirksverordnetenversammlung kämpfenden Genossen können nicht zufrieden sein.An dem Tag, an dem die ersten Wahlplakate hingen, habe ich die Frage gestellt, was eigentlich schlimmer ist: dass Parteien jetzt schon Menschen dafür bezahlen müssen, um ihre Plakate aufzuhängen, oder eine Parteibasis, die sich für solch einen inhaltsleeren Wahlkampf auch noch ehrlich begeistern kann.

Auffallend ist jedenfalls, dass auch die untere Mandatsebene vornehmlich auf den Rückhalt, die Bestätigung der eigenen Genossinnen und Genossen abstellt, weitgehend sich selbst genügt, keine oder kaum Inhalte nach außen transportiert und sich in blinder Begeisterung und Gefolgschaft für die SPD geübt hat. Hier trifft der Begriff Parteisoldat voll ins Schwarze. Wie sonst ist es erklärbar, dass Wahlkämpfer meinen, mit einem traditionellen Ständchen unter einem SPD-Schirm und dem Verteilen von Zetteln an den U- und S-Bahn-Stationen, verbunden mit einem kleinen Plausch, Menschen und Wahlen gewinnen zu können? Allein die Überpräsenz zur Wahl steht so sehr im Kontrast zum Alltagsbild davor und danach, dass schon dies nicht ehrlich wirkt; im Gegenteil, es bedeutet vielen doch nur: hier möchte jemand gewählt werden – aber was hat das mit mir zu tun?

Es sind diese parteipolitische Nibelungentreue und fehlende politische Selbstreflexion, die gleichermaßen traurig machen wie erschrecken. Dass eine Parteiführung, die 2009 auf Bundesebene eine historische Wahlniederlage zu verantworten hat, sich selbst wieder ins Amt hieven konnte, und dies ohne nennenswerten Widerstand, dass die Causa Sarrazin von dieser Parteispitze schnell und wiederum ohne nennenswerten Widerstand unter den Teppich gekehrt werden konnte, dass Steinmeier, Steinbrück und die Agenda 2010 bis heute nicht aus der Partei heraus offensiv in Frage gestellt werden, das ist wohl nur zu verstehen, wenn man diesen Zustand der “Parteiebene” mit in die Überlegungen einbezieht. Man kann hier getrost von einem falsch verstandenen Gefühl von Solidarität sprechen, denn diese Solidarität ermöglicht erst diese Parteiführung, die mit der Solidarität gegenüber ihren ursprünglichen Werten und Wählern - an ihren Taten, nicht an ihren Sprüchen gemessen - schon längst nichts mehr am Hut hat.

Ein sozialdemokratischer ”Frühling” muss von der Basis ausgehen

Die sozialdemokratische Hoffnung, die wie jede andere Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt, liegt daher darin, dass das Murren in der Parteibasis vor dem Bundesparteitag der SPD im Dezember lauter wird. Dieses Murren muss sich vielleicht zunächst in den Ortsverbänden, die in der Berliner SPD Abteilungen genannt werden, einstimmen, zur Not auch gegen die eigenen, dort etablierten Mandatsträger, die so gern weiter heile Welt spielen wollen.Die SPD-Spitze fürchtet nichts so sehr wie eine Diskussion um ihren gegenwärtigen Kurs – der im Prinzip immer noch der alte der Schröder-Ära ist. Dieser allerdings beinhaltet nicht mehr als die leere Worthülse, regieren zu wollen. Warum denn wohl, beschränkt sich die Oppositionsarbeit der SPD weitestgehend darauf, der Regierung die Regierungsfähigkeit abzusprechen, und warum wird dies eine breite Wählerschaft trotz Medienhype um die neue “Troika”, Steinbrück, Gabriel und Steinmeier, nicht überzeugen? Weil die SPD selbst noch keine eigenständige Linie in den zentralen politischen Fragen gefunden hat. Im Gegenteil: sie gibt sich, das hat die Parteiführung gerade erst wieder zu Papier gebracht, in zentralen Fragen, wie die des Schuldenabbaus und der Eurokrise, radikaler als CDU/CSU und FDP.

Die ganze Abgeschmacktheit um die neue “Troika” herum, das inhaltsleere Gequarke der Generalsekretärin, die ganze Entourage der Führung hat immer noch dieselbe Qualität der 23-Prozent-SPD von 2009 und der Schröder-Ära davor. Dass die SPD heute schon einmal die 30-Prozent-Hürde in den Umfragen streift, würde sie bei gesundem Menschenverstand im desaströsen Zustand der Regierungsparteien spiegeln; dass sie das nicht tut und sich schon aus dem Umfragetief wähnt, zeigt nur, dass die SPD-Spitze bis heute nicht verstanden hat. Ein sozialdemokratischer Frühling wird daher von der Basis ausgehen müssen oder nicht stattfinden.


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