In der Spitze der SPD wird über den gerade erzielten “Rentenkompromiss” nicht nur Erleichterung, sondern geradezu Euphorie vermittelt. Das Votum des Kleinen Parteitages am 24. November im Willy Brandt Haus zur SPD-Rentenpolitik “Arbeit muss sich lohnen” erfolgte einstimmig bei nur vier Enthaltungen. Dabei geht es vor allem darum, die dramatisch steigende Altersarmut aufzuhalten.
Vorgesehen ist: die Einführung einer solidarischen Mindestrente von 850 Euro nach 30 Beitrags- und 40 Versicherungsjahren; die Abschaffung der Abschläge bei vorzeitigem Bezug der Erwerbsminderungsrente; die Fortsetzung der so egannten “45″ er Regelung, nach der Menschen mit 45 beitragspflichtigen Beschäftigungszeiten ab dem 63. Lebensjahr ohne Abschläge in Rente gehen können; die Stärkung der betrieblichen Altersversorgung; die Aussetzung der Rente mit 67, bis mindestens die Hälfte der Arbeitnehmer über 60 Jahre eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hat. Und es wurde endlich das rentenpolitische “Tabu” angegangen: die Angleichung der Ostrenten an das Westniveau bis 2020.
Die zusätzlichen Kosten von etwa 16 Mrd. Euro könnten weitgehend aus den hohen Rücklagen der gesetzlichen Rentenversicherung gedeckt werden, wenn diese nicht – wie von der schwarz-gelben Koalition bereits beschlossen – zur Senkung der Beitragssätze aufgebraucht würden. Die darüber hinaus erforderliche geringfügige Anhebung der Beitragssätze würde die gesetzliche Grenze von 20 Prozent 2020 und 22 Prozent 2030 nicht überschreiten (Altersvermögensergänzungsgesetz).
Dabei kann und muss die SPD eine sozialpolitische besonders schmerzliche Flanke schließen. Nicht nur warnt die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) seit Jahren vor dem im internationalen Vergleich besonders hohen Anteil niedriger Löhne und Renten in der Bundesrepublik; auch amtliche Berichte der Gesetzlichen Rentenversicherung und Bundesregierung schlagen Alarm wegen des drohenden massenhaften Anstiegs der Altersarmut. Die schwarz-gelbe Regierungskoalition ist heillos zerstritten. Trotz wiederholter medialer Ankündigungen von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, ist sie bislang nicht in der Lage, außer aktionistischen Teilstücken mit wechselnden Bezeichnungen wie Zuschuss- oder Lebensleistungsrente, ein überhaupt nur erkennbares Rentenkonzept vorzulegen.
Allerdings sind auch in dem Rentenkonzept der SPD noch wesentliche Lücken zu schließen. Darüber hinaus muss sie endlich den “politischen Ballast” abwerfen, mit den rot-grünen Riester Reformen von 2001 und den nachfolgenden Hartz Gesetzen die gesetzliche Grundlage für die erhebliche Ausweitung von niedrigen Löhnen und Renten gelegt zu haben. Dies ist der bittere Preis, den Millionen Menschen zahlen, für die Erfolge bei der Verbesserung von Wirtschaft und Beschäftigung sowie der Rückführung der Arbeitslosigkeit und damit auch der finanziellen Konsolidierung der sozialen Sicherung, einschließlich der Rentenversicherung. Hier sind daher ebenso klare Korrekturen erforderlich.
Kernproblem aufgeschoben
Der Kern der “Rentenmisere” und des Rentenstreits in der SPD – der dramatische Abfall von Rentenniveau und Renten – ist bis 2020 verschoben. Zwar wird ein Bekenntnis zur Verhinderung einer weiteren Verringerung des Rentenniveaus unter die derzeitigen etwa 50 Prozent (des Nettoeinkommens vor Steuern) abgegeben; die praktische Umsetzung bleibt aber offen. Dabei gilt das Prinzip Hoffnung und Abwarten: Der SPD muss es in den nächsten Jahren gelingen, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro in der Stunde einzuführen; die mit den Hartz Gesetzen erfolgte Schleusenöffnung für prekäre Beschäftigung wieder zu schließen; die Lohndiskriminierung bei Leiharbeit, gegenüber Frauen sowie bei sonstigen Tatbeständen wirksam zu bekämpfen; Bildung und Ausbildung müssen verbessert werden. Durch die Anhebung der Löhne würden sich dann auch die Renten verbessern. Die bereits heute und noch mehr in den nächsten Jahren von der steigenden Altersarmut betroffenen und bedrohten Menschen haben keine Zeit zu verlieren. Sie warten dringend auf eine baldige “Erlösung” aus der Altersarmut.
Allerdings wird hiermit der drastische Abfall des Rentenniveaus durch die willkürliche Verschlechterung der Rentenformel seit den Riester Reformen keinesfalls hinreichend korrigiert. Darüber hinaus kann die solidarische gesetzliche Rentenversicherung mit Pflichtbeiträgen nur dann ihre Legitimation erhalten, wenn sie nicht nur vor Altersarmut schützt, sondern auch wieder den maßgeblichen Anteil des Lebensstandards im Alter sichert. Dies ist bereits heute vielfach auch nach einem vollen Arbeitsleben nicht mehr der Fall.
Abgesehen davon müssen erst einmal die politischen Mehrheiten zu diesem erneuten Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik – auch in den eigenen Reihen – erkämpft werden. Außerdem reicht ein flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro für viele Menschen nicht aus, Armut im Alter zu verhindern.
Dringend erforderlich ist weiterhin, dass überzeugende Maßnahmen zur Bekämpfung einer der hauptsächlichen Ursachen für Armut bei Arbeit und im Alter – die Explosion der Minijobs ohne Rentenversicherung auf inzwischen über 7 Millionen – in das Rentenkonzept aufgenommen werden. Wie dringend der Handlungsbedarf hier ist, zeigt der von der schwarz-gelben Regierungskoalition gerade beschlossene Anstieg der Geringfügigkeitsgrenze von 400 auf 450 Euro. Damit wird sich diese Armutsfalle noch weiter vergrößern.
Es ist somit auch ein Stück Vergangenheitsbewältigung, wenn die SPD laut Parteichef Sigmar Gabriel mit diesem “einzigartigen” und “schlüssigen” Rentenkonzept zu einem der zentralen Lebensbereiche der großen Mehrzahl der Menschen – nämlich ihrer Alterssicherung – geschlossen in den bereits begonnenen Bundestagswahlkampf zieht. Dabei wird er nicht müde zu betonen, dass dieses einstimmige Ergebnis unter seiner Regie in vielen Abstimmungsrunden bis in die Ebenen der Ortsvereine hart erarbeitet wurde. Und besonders wichtig ist, dass der designierte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück das Rentenkonzept nicht nur mit beschlossen hat, sondern auch an dessen Zustandekommen aktiv beteiligt war. In der Vergangenheit hatte sich Steinbrück eher reserviert bis allergisch gegenüber allen Bestrebungen gezeigt, die rot-grünen so genannte Renten- und Arbeitsmarktreformen zu korrigieren.
Paradigmenwechsel zu sozialer Gerechtigkeit erforderlich
Erhebliche Zweifel sind allerdings angebracht, ob mit diesem Rentenkonzept der politische Paradigmenwechsel – diesmal zu sozialer Gerechtigkeit – gelingen kann. Zwar haben sowohl die Arbeitsgemeinschaften der Arbeitnehmer, die AG “60 Plus”, die Jusos sowie die Linken und die Vertreter der Gewerkschaften in der SPD verlangt, dass das Rentenniveau von derzeit etwa 50 Prozent nicht weiter abfallen darf. Mit den von ihnen hart erkämpften Zugeständnissen haben sie jetzt ihren Frieden mit dem Rentenkonzept der SPD gemacht. Die vereinzelte Kritik an dem Abfall der Renten sowie der Bevorzugung der Männer mit durchgängiger voller Erwerbstätigkeit und guten Löhnen durch die so genannte “45″ Regelung und die Stärkung der Betriebsrenten – die alle über ihre Beiträge und Steuern mit finanzieren müssen, auch wenn sie nie davon Gebrauch machen können – erscheint schon eher wie “Sektierertum”.
Dabei ist nicht nur das Verfahren, sondern auch das Ergebnis dieser Kompromisssuche und -findung erklärungsbedürftig: Dem Renten-Konvent der SPD wurde der Vorschlag des SPD Parteirates NRW vorgelegt. Dies ist nicht nur zufällig der Heimatbezirk des Kanzlerkandidaten Steinbrück. Der Aufschub für die Lösung dieses Kernproblems erfolgte mit besonders “verschränkten” Formulierungen. 2020 muss im übrigen nach dem Gesetz ohnehin eine Überprüfung erfolgen, ob die Höhe der Rentenversicherungsbeiträge bei 20 Prozent gedeckelt bleibt und das Rentenniveau nicht unter 46 Prozent abgesunken ist. Dabei wird gar nicht beschönigt, dass die Renten durch willkürliche Eingriffe in die Rentenformel verschlechtert wurden. Weniger klar sind hingegen die vorgeschlagenen Maßnahmen: “Neben anderen denkbaren Instrumenten könnte die Veränderung oder Streichung des Dämpfungsfaktors (Altersvorsorgeanteil/Riester Treppe) ein denkbarer Weg sein, um das Rentenniveau zu sichern.”
Ob dies zu dem “Jubel” in der SPD-Spitze über den gefundenen Rentenkompromiss ausreicht, hängt entscheidend davon ab, dass die Erhaltung des Rentenniveaus von etwa 50 Prozent auch mit der gleichen Klarheit und Einmütigkeit nach innen und außen vertreten wird. Am Ende wird der Wähler über das Rentenkonzept der SPD entscheiden.
Dr. Ursula Engelen-Kefer war von 1990 bis 2006 stellvertretende DGB-Vorsitzende und von 1984 bis 1990 Vizepräsidentin der damaligen Bundesanstalt für Arbeit. Von 1980 bis 1984 leitete sie die Abteilung Arbeitsmarktpolitik einschließlich der Internationalen Sozialpolitik beim DGB. Heute arbeitet sie als Publizistin in Berlin (www.engelen-kefer.de).
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