Wenn es sich nicht bereits etwas länger hinzöge, wäre vermutlich der erste Gedanke: Klar, ist doch Weihnachten! Die Zeit der guten Botschaften. Und da möchte die Bundeskanzlerin natürlich nicht zurückstehen. Fast könnte man meinen: Allüberall auf den europäischen Tannenspitzen sieht Angela goldene Lichtlein blitzen. Irland, Portugal, Italien, Spanien, ja selbst in Griechenland. Die Eurokrise scheint pünktlich zu Weihnachten aus der Welt. Und wäre dies nicht in der Tat das schönste Weihnachtsgeschenk? Die Massenarbeitslosigkeit geht zurück, die seit Ausbruch der Finanz- und Eurokrise erlittenen drakonischen Einkommensverluste sind zumindest wieder ausgeglichen.
Was Miss Erfolg, Angela Merkel, und andere uns weiszumachen versuchen, ist jedoch bei näherer Betrachtung ein Misserfolg. Leider. Es ist doch Weihnachten, verdammt! Vielleicht liegt es ja an der Rute namens staatliche Ausgabenkürzungen, Massenentlassungen und Lohnverzicht, mit der insbesondere die so genannten Krisenländer kräftig verhauen werden. Und wer schwingt die Rute am heftigsten? Richtig: Angela Merkel.
Treten wir also für einen Augenblick einen Schritt zurück, um uns nicht länger von den blitzenden Lichtlein blenden zu lassen und gucken, wie sich das Einkommen – das Bruttoinlandsprodukt (BIP) – und die Arbeitslosigkeit – Arbeitslosenzahlen und Arbeitslosenquoten – seit 2007 entwickelt haben, dem Zeitpunkt unmittelbar vor Ausbruch der Finanz- und Eurokrise. Wir haben dazu das BIP, die Zahl der Arbeitslosen und die Arbeitslosenquote in 2007 gleich 100 gesetzt. Hier das Ergebnis:
Von den so genannten Krisenländern hat bisher keines das Vorkrisenniveau von 2007/2008 erreicht. Frankreich krebst an der Grenze, das griechische BIP ist ins Bodenlose gefallen.
Selbst das Einkommen Irlands hat sich nicht nennenswert erholt. Das ist auch insofern der Rede wert, als dass das Rezept der “EU-Troika” und vor allem auch Deutschlands ja darin besteht, die Wettbewerbsfähigkeit, die Fähigkeit mehr ins Ausland zu verkaufen also, zu steigern. Irlands Exportanteil der Waren und Dienstleistungen beträgt über 100 Prozent des Sozialprodukts. Das ist einmalig. Es können ja schwerlich viele Länder, noch dazu größere Volkswirtschaften, dauerhaft mehr im Ausland erwirtschaften als im Inland. Irgendjemand muss diese Produkte ja auch kaufen! Zum Vergleich: Selbst beim Export-Junkie Deutschland beläuft sich der Anteil der Exporte von Waren und Dienstleistungen am BIP auf rund 50 Prozent, was schon astromisch hoch ist; in den anderen hier zum Vergleich herangezogenen Ländern liegt der Anteil deutlich darunter. Ungeachtet steigender Exporte und einem Anteil der Waren- und Dienstleistungsexporte von über 100 Prozent am BIP ist es aber nicht einmal Irland gelungen, das Vorkrisenniveau des BIP auch nur annährend wieder zu erreichen.
Die Entwicklung der Außenhandelsanteile seit 1999 und nach 2007 zeigt im übrigen, dass Deutschland, das es geschafft hat, das Volkseinkommen über das Vorkrisenniveau zu steigern, sich auch nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen hat. Seit Jahren bestimmen die hohen Außenhandelsüberschüsse die deutsche Wirtschaftsentwicklung, und sie werden von Politik, Medien und Wirtschaftswissenschaften hierzulande regelmäßig gefeiert. Deutschland liegt entsprechend nicht nur beim BIP über dem Vorkrisenniveau, sondern auch beim Exportanteil am BIP, den Deutschland seit 2007 noch einmal von 47,1 Prozent auf aktuell 51,6 Prozent gesteigert hat. Entsprechend der darüber erzielten Außenhandels- bzw. Leistungsbilanzüberschüsse hat Deutschland sich vom Rest der Welt aus dem Sumpf ziehen lassen. Den Preis dafür zahlen nämlich die anderen Länder mit entsprechenden Defiziten und einer steigenden Verschuldung – deren drakonische Bekämpfung ausgerechnet Deutschland am vehementesten einfordert. Es ist wie im wirklichen Leben, das bekanntlich voller Widersprüche steckt.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist es wenig überraschend, dass sich auch die Arbeitslosigkeit seit Ausbruch der Krise nicht erholt hat, sondern sich in vielen Ländern weiter verschärft. Von allen hier herangezogenen Ländern haben sich wiederum nur in Deutschland die offiziellen Arbeitslosenzahlen über das Vorkrisenniveau hinaus verbessert. Weil die Arbeitslosigkeit außer in der Eurozone auch in den zwei großen und die Weltwirtschaft bestimmenden Volkswirtschaften USA und Japan – vor allem in den USA – noch deutlich über dem Vorkrisenniveau liegt, ist es wohl immer noch nicht verfehlt, von einer Weltwirtschaftskrise zu sprechen.
Wenn es nach Knecht Ruprecht ginge, so das einleitend aufgegriffene, bekannte Weihnachtsgedicht von Theodor Storm, sollen “Alt und Junge nun von der Jagd des Lebens einmal ruhn”; Merkel aber knechtet: “Die Rute, die ist hier!” Doch leider nur trifft sie nicht “die Schlechten” auf “den Teil, den Rechten”. Denn sonst müsste sie sich ja schließlich selbst ordentlich verhauen! Aber vielleicht kommt der Knecht Ruprecht, so, wie ihn Theodor Storm besingt, ja doch noch zu ihr und alles wird gut. Das wünsche ich mir zu Weihnachten. Bitte
“Knecht Ruprecht, alter Gesell,
Hebe die Beine und spute dich schnell!”
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