Vergangene Woche meldete das Statistische Bundesamt: “Zahl der Erwerbstätigen erreicht im Jahr 2012 erneut Höchststand”. Zu diesem Ergebnis kommt das Statistische Bundesamt, indem es bis zum Jahr 2005 zurückblickt. Allein das ist schon ein zweifelhaftes Unterfangen. Die Erfolgsmeldung selbst aber versäumt es Ursachen und Wirkungszusammenhänge aufzuzeigen, die die Entwicklung am Arbeitsmarkt erklären könnten. Nur das aber kann zu einer Bewertung der Arbeitsmarktpolitik beitragen. Ohne begründete Erklärungen kann Arbeitsmarktpolitik auch nicht rational und schwerlich dauerhaft erfolgreich sein.
Wie nicht anders zu erwarten, überschlugen sich die Medien wieder einmal aufgrund der Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes. “Verdauen” die meisten Journalisten doch nur das, was man ihnen eben hierzu vorsetzt. Wenn diese Art Journalismus sich durch etwas auszeichnet, dann vielleicht durch das Prinzip Schnelligkeit vor Gründlichkeit. So dröhnte die Wirtschaftswoche: “Es ist der sechste Rekordstand in Folge.” Die Welt meldete: “Im sechsten Jahr in Folge habe die Zahl der Erwerbstätigen nun schon einen neuen Höchststand erreicht, erklärten die Statistiker.”
In derselben Pressemitteilung meldete das Statistische Bundesamt darüber hinaus: “Von der positiven Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt profitierten insbesondere die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, deren Anzahl – wie schon in den Jahren 2010 und 2011 – auch im Jahr 2012 überproportional gestiegen ist.”
Alles gut und schön. Sollte sich die Politik doch in der Tat ganz zentral an ihren Erfolgen auf dem Arbeitsmarkt messen lassen. Allerdings hat – wie ein Blick zurück bis zum Jahr 1999 zeigt – das Jahr 2005, das sich das Statistische Bundesamt hier als Bezugsgröße ausgesucht hat, das Merkmal, das just in jenem Jahr die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten einen Tiefstand erreicht hatte.
Der Grund für diesen Tiefstand wird sofort einsichtig, schaut man sich das Wirtschaftswachstum in dieser Zeit an. Sorgte im Jahr 2000 ein Wirtschaftswachstum von über 3 Prozent noch für einen Aufbau an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, ging das Wirtschaftswachstum 2001 auf 1,6 Prozent zurück und mit ihm auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. 2002 herrschte Nullwachstum. 2003 rutschte Deutschland in die Rezession. Auch in den folgenden beiden Jahren lag das Wirtschaftswachstum unter ein Prozent, zu wenig, um Beschäftigung zu schaffen oder auch nur zu erhalten. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sank von 28 Millionen (2000) auf 26,2 Millionen (2005).
In den beiden Folgejahren – 2006 und 2007 – erreichte das Wirtschaftswachstum das erste Mal seit dem Jahr 2000 wieder über drei Prozent. In Folge stieg auch wieder die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Dieser Aufbau schwächte sich 2008 mit einem Wirtschaftswachstum von nur noch 0,8 Prozent wieder deutlich ab. Mit dem Wachstumseinbruch 2009 stellte sich auch wieder ein Abbau der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ein, sicherlich abgefedert durch die Vereinbarungen für die Kurzarbeit im Rahmen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Mit den hohen Wachstumsraten 2010/2011, respektive 4 Prozent und 3,1 Prozent, zog die Zahl der sozialversichert Beschäftigten wieder an. Im vergangen Jahr aber fiel das Wirtschaftswachstum bereits wieder deutlich geringer aus. Laut Sachverständigenrat ist die deutsche Wirtschaft in 2012 nur noch um 0,8 Prozent gewachsen. Das Statistische Bundesamt wird in Kürze die Zahlen für 2012 präsentieren.
Noch steigt erfreulicherweise die Zahl der sozialversichert Beschäftigten. Aufgrund des engen Zusammenhangs zwischen Wirtschaftswachstum und Beschäftigung könnte die Zahl der sozialversichert Beschäftigten in diesem Jahr aber bereits wieder deutlich fallen. Im Dezember stieg die Arbeitslosigkeit gegenüber November um 60.000, gegenüber Vorjahr um 88.000 auf 2,84 Millionen. Die Zahl der gemeldeten Stellen ging gemessen am Stellenindex der Bundesagentur für Arbeit – “ein Indikator für die Nachfrage nach Arbeitskräften in Deutschland” (Bundesagentur für Arbeit) – im Dezember 2012 auf 157 Punkte zurück, ein Minus gegenüber Dezember 2011 von 23 Punkten. Eine Gegenüberstellung des Indikators mit dem Wirtschaftswachstum, hier das Quartalswachstum, zeigt ein weiteres Mal die enge Korrelation von Wachstum und Arbeitsmarktentwicklung.
“Die Basis für den BA-Stellenindex bilden die der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldeten ungeförderten Arbeitsstellen, sowie die bei der BA gemeldeten Stellen für Freiberufler, Selbständige und aus der Privaten Arbeitsvermittlung” definiert die Bundesagentur ihren Stellenindex. Ein erneuter Blick zurück bis zum Jahr 1999 zeigt wiederum, dass sich die Schere zwischen Arbeitslosen und gemeldeten Stellen immer dann schließt, wenn das Wirtschaftswachstum angemessen hoch ist.
An dem engen Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit wie auch zwischen Wirtschaftswachstum und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und gemeldeten bzw. fehlenden Stellen hat sich durch Hartz IV nichts grundlegend geändert. Erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik basiert nicht auf Sanktionen und einer asozialen Gesetzgebung, die mit der Agenda 2010 die Situation der Beschäftigten wie der Arbeitslosen einschneidend verschlechterte, sondern auf einem angemessenen Wirtschaftswachstum – das aber hängt, das zeigt die Statistik, wiederum nicht an Hartz IV und der Schwächung der Gewerkschaften, für die auch Gewerkschafter aus der SPD gestimmt haben, sondern, im Gegenteil, an einer verteilungsneutralen Lohnpolitik, die Hartz IV verhindert.
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